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BNN Trauer Trilogie - Tot, aber im Trend?

Letzte Änderung 04. September 2014

Bretten. „Die Friedhöfe“, heißt es, „liegen voller Menschen ohne die die Welt nicht leben konnte.“ Rund ein Prozent der Bevölkerung schippert jährlich über den Acheron. Ob als Mumie, in einer Raumkapsel oder zum Diamant gepresst – im Laufe der Menschheitsgeschichte fanden die Hinterbliebenen unzählige Umgangsformen mit den leiblichen Überresten. In Madagaskar ist es beispielsweise üblich, die Gebeine der Verstorbenen alle  zehn Jahre erneut auszugraben. „Turning of the Bones“ oder „Famadihana“ nennt sich diese Totenwendfeier. Auch hierzulande hat sich einiges getan: Längst sind Witwenjahr oder Trauerzüge mit schwarzen Kutschen ein Opfer geschichtlicher Verwesung. Wie aber lassen sich die Brettener heutzutage bestatten?

„Was wollte Großmutter eigentlich?!“, diese Frage hört ein Bestatter wohl häufiger, denn Sterben war und ist immer noch Tabuthema. „Immer kleiner und kostengünstiger wollen es die Leute“, so Martin Eisenbeis von der Firma Ernst. „Es gibt sogar Gerücht, dass ein paar schon am liebsten zur Schubkarre gegriffen hätten, um Transportkosten zu sparen. Gesetzlich ist das natürlich nicht erlaubt.“ Auch die anderen Brettener Bestatter Ulrich Schick und Birgit Holz empfehlen zur Erleichterung der Angehörigen, sich zu Lebzeiten mit dem Thema auseinanderzusetzen: Große Trauerfeier oder Beisetzung im Kleinen? Reihengrab für eine oder Wahlgrab für mehrere Personen? Sarg oder Urne?

In den letzten Jahren hat sich der Trend massiv gewandelt: Von den rund 90 Prozent Erdbestattungen vor etwa zwanzig Jahren seien heute nur 40 geblieben. Kosteneffizienz heißt das Schlagwort und liefert der Urne nachwievor Zunder. Angst, dass es im Krematorien zu Verwechslungen kommt, muss man sich keine machen.

Friedwald


Dafür sorgen nummerierte Schamottsteine auf den Särgen. „Es heißt, die Asche sei so zart wie Babyhaut und entspricht etwa dem Ursprungsgewicht eines Neugeborenen“, so die Bestatterin Holz. Zudem sei es möglich, kleine Erinnerungsgegenstände mitzugeben.

Es bleibt aber nicht nur bei Feuer oder Erde, denn wie Schick weiß „hat Bretten für seine Größe ein ungewöhnlich hohes Bestattungsangebot.“ Wo kann die Reise also noch hingehen?  Ins Anonyme Rasenfeld, als Urnengemeinschaft um einen Baum oder gar an die Nord- und Ostsee zur Seebestattung (wobei das die seltenste Ausnahme bleibt). Noch exotischer wäre natürlich eine Einbalsamierung, wobei das nur von professionellen Thanatologen vorgenommen wird – allerdings speziell zur Wiederherstellung verunstalteter Körper oder zur Überführungen ins Ausland.

Für die Friedhofskultur sei außerdem eine wachsende ‚Tendenz zur Entpflichtung‘ zu beobachten. „Aus Angst vor der Grabpflege ziehen viele ein anonymes Begräbnis in Erwägung“, sagt Schick, „dabei gibt es durchaus Alternativen.“ Die Genossenschaft Badischer Friedhofsgärtner bietet etwa für Bretten und Büchig ein gärtnergepflegtes Rasenfeld an. Durch die einmalige Auszahlung einer Dauerbegrünung werden besonders Angehörige entlastet, die nicht in unmittelbarer Nähe wohnen. Auch die Grabanlagen werden immer kleiner und statt barockem Pomp überziehen die Steine schlichte formale Linien. „Als Steingestalter versucht man natürlich Formen für die Persönlichkeit zu finden und keine steinernen Prunkträger mit Namensschildern.“

Tauscht man nun Steinmetz und Gärtner gegen einen Förster ein, findet man sich im Friedwald wieder. Schwaigern ist der nächstgelegenste und wird wohl zukünftig immer mehr Zulauf bekommen. Mutter Natur managet hier die Grabpflege: Die Asche wird allerdings nicht verstreut sondern in biologisch abbaubaren Urnen 80cm tief in die Erde eingegraben. Farbige Banderolen an den Bäumen bieten ihre belaubten Träger zu feil: Je nach Gemeinschafts- oder Einzel-, Jung- oder Prachtbaum können die Preise ganz schön variieren. Aber auch durch die gestiegene Zahl der Kirchaustritte werden die Beisetzungen wohl immer individueller ausfallen: Mittlerweile ist es für Konfessionslose nicht unüblich, freie Trauerredner heranzuziehen (siehe Artikel: Trauerredner).

Für kommende Generationen kann das alles aber schon wieder ganz anders aussehen. So nimmt etwa das Outsourcing amerikanischer Bestatterketten immer weiter zu. „Bisher hatten sie es hierzulande schwer Fuß zu fassen, denn für viele bleibt das Sterben eine Familienangelegenheit“, so Eisenbeis. Er hält es dennoch für plausibel, dass sich sein Berufsfeld immer weiter Richtung Eventmanager verschieben wird. Vielleicht also ist es die traurige Wahrheit, dass man zukünftig Sarg, Blumen, Pfarrer und Grabschmuck übers Internet bestellen wird.

Philipp Neuweiler

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