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Pilzsammler - Die Reise der Waldläufer

Letzte Änderung 18. August 2014

Pilzsammler

Kraichtal-Menzingen. „Nach einer Latenzzeit von sechs bis acht Stunden kommt es zum Erbrechen. Die anschließende Erholungsphase trügt, denn bis dahin hat das Gift längst Nieren und Leber tödlich zerfressen.“ Ferdinand Messner betrachtet anerkennend den Knollenblätterpilz, den ein Laie kaum von einem herkömmlichen Wiesen-Champignon unterschieden könnte. Gerade büffelt er für die Lehrschau in Hornberg – dieses Jahr will er die Prüfung zum Pilzsachverständiger ablegen. Wo war doch gleich die Abbildung von der Krausen Glucke? Er durchforstet die Seiten. Doch da sich im ganzen Haus die Pilzbücher tummeln, ist es verzeihlich, wenn er mal nicht auf Anhieb weiter weiß.

Ein Ausflug ins Reich der Pilze lohnt mehr, als man glaubt: Die Germanen etwa nahmen an, dass die Schirmkappen dem Pferd des Totengottes entsprangen. Abgesehen von schäumenden Tiermäulern wurden natürlich dem Teufel Hexeneier und Satanspilz untergejubelt. Morcheln, Bovisten, Pfiffer- und Thäublinge... Bei über 6.000 Pilzarten allein im europäischen Raum sind den Namen kaum Grenzen gesetzt.

„Wer die finden will, muss abseits der Wege gehen“, erklärt uns ein Brettener Pilzsammler, der leider nicht genannt werden möchte. Mit Tragekorb und Taschenmesser ausgestattet stürzt er sich ins Unterholz: Am Waldrand entlang, dem Wildwechsel hinterher, über moosige Hänge oder durch längst vergessene Schützengräben. Da kann man schon mal einige Kilometer zurücklegen. Beste Orientierung auf der Pilzjagd bieten Schnecken und natürlich Bäume. Einige der Waldriesen könnten gar nicht ohne Symbiose existieren. Und findet man dann endlich einen, gilt immer die Goldene Regel „Nur mitzunehmen, wenn man sich hundertprozentig sicher ist.“

Messner sieht das anders, schließlich treibt ihn nicht allein die kulinarische Sehnsucht in die Wälder. Neben seinem Erkundungsdrang outet er sich als leidenschaftlicher Sammler von versteinerten Ammoniten und Mineralien. „Wenn ich mal in einer unbekannten Gegend unterwegs bin, kann‘s schon passieren, dass ich einfach in den Wald hineinlaufe.“ Seit 2006 veranstaltet er jährlich eine Pilzausstellung in Menzingen. Die findet innerhalb der Hauptsaison statt – während September und Oktober, wenn die Luftfeuchtigkeit besonders hoch ist. So sprießen am 04. und 05. Oktober die Zelte wieder aus der Kirchstraße und laden zum Schmecken und Entdecken ein. „Neben dem Verkauf von Zuchtpilzen, durchstreife ich immer eine Woche vorher den Schwarzwald, die Pfalz und natürlich die heimischen Wälder.“ Mit seinem Sohn hat er so im vergangenen Jahr über 200 verschiedene Arten zusammengetragen, die anschließend wieder in die Wälder gebracht wurden.

Dabei ist Messner schon häufiger an die Grenzen seiner Pilzbücher vorgedrungen. „Wenn ich einen mir unbekannten nicht verzeichnet finde, bin ich immer etwas enttäuscht.“ Den Satanspilz habe er noch nie zu Gesicht bekommen. Dafür fand er erst kürzlich den seltenen blassen Pfifferling. Doch häufig sind es ja gerade die Pilzsammler, die alles andere als Pilze im Wald vorfinden: „Leichen sind mir zum Glück noch nicht untergekommen. Dafür wurde ich mal von einem wilden Auerhahn attackiert“, erzählt Messner und lacht. Dann verfinstert sich seine Mine: Plastiktüten, Bauschutt – sogar Kloschüsseln habe er schon an den entlegensten Stellen gefunden. „Das tut im Herz weh, wenn ich sowas sehe.“ Auch Raubentnahme ist keine Seltenheit: Dabei kämmen mehrere Personen gezielt die Wälder und lassen kaum noch Pilze übrig. „Mehr als ein Kilo darf man schließlich nicht mitnehmen.“

Wieder zu Hause, greifen die einen zur Pfanne. Andere wie Messner nehmen die Lupe, wenn ein Fund mal nicht so einfach zu bestimmen ist. „Ach, hier in der Fachzeitschrift war das Bild von der Krausen Glucke!“, ruft er zufrieden. Egal also, ob Pilz oder Wald. Manchmal braucht man nur etwas Geduld, denn das Reich der Pilze scheint selbst nach Jahren nichts an Entdeckungen einzubüßen.

Philipp Neuweiler

Pilzsammler

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