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BNN Trauer Trilogie - Trauerredner

Letzte Änderung 04. September 2014

Flehingen.  Eine Hand greift zum Wasserkrug. Noch immer klebt etwas Propolis daran. Hat man den Mut nachzufragen, würde man erfahren, dass es sich um ein Bienenharz handelt: Bereits die alten Ägypter verwendeten es zur Einbalsamierung ihrer Verstorben, womit wir fast beim Thema wären. Martin Rausch – gelernter Schreiner, Imker, Märchenerzähler und zufällig Besitzer jener Hand – nimmt einen kräftigen Schluck und setzt seine Geschichte fort:

„Es kam schon vor, dass Angehörige nach einer Rede gerührt auf mich zukamen und meinten: So haben Sie das Leben des Verstorbenen noch gar nicht wahrgenommen. Was für unglaubliches Erlebnisse dieser Mensch doch hatte!” Seit 2011 ist Rausch hauptberuflich Trauerredner, würdigt verblichene Leben, kleidet sie in passende Worte.

Trauerredner


Was aber kann man sich unter dem exotischen Begriff vorstellen? Vielleicht einen Witwen-Dichter, der sich für zwei Schilling pro Metapher an fremden Memoiren vergreift? Als Neuerscheinung im Süddeutschen Raum dürfte das so manche Fragen aufwerfen. Allerdings war der Beruf schon in der DDR verbreitet. Hier war die Einstellung zur Kirche eine andere. Es gibt sogar einen „Bundesweiten Berufsverband von Trauerrednern“, der 1996 gegründet wurde.

Als erfahrener Märchenerzähler (die BNN berichteten) setzte Rausch seinen Fuß nicht auf völliges Neuland. „Erstaunlich viele Märchen behandeln das: Den Übergang von einer Welt in die nächste.“ Vom Hand- zum Mundwerk beschreibt er seinen Werdegang. Schlüsselerlebnisse waren außerdem die Trauerfälle eigener Angehöriger oder die Weiterbildung bei Diplomtheologin Birgit Janetzki. „Am Anfang hab ich mir in Karlsruhe mal eine Beerdigung nach der anderen angehört. Trauerredner werden nicht angekündigt. Da ist es gar nicht so einfach, was über sie zu erfahren.“

Mittlerweile beläuft sich sein Revier auf gut 50 Kilometer Reichweite. Anfragen gehen über die Bestatter. Im persönlichen Gespräch mit Angehörigen und Familien ist es wichtig, so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen. Das sei jedoch keine Aufforderung zum Familienalbum zu greifen: „Ich brauche keine Bilder, sondern muss mir eins bilden. Ich möchte verstehen, wie dieser Mensch war.“ Es hat also viel mit Recherche aber auch umsichtiger Seelsorger gemein. Demenz mache das Freilegen der Vergangenheit oftmals nicht einfacher.
Dennoch gibt es Geschichten, die ihm schlichtweg den Atem verschlagen. „Dann herrscht eine Energie im Raum, die haut dich fast um! Eigentlich ist es traurig, dass ich so viele einzigartige Menschen immer erst zu spät kennen gelernt habe.“

Wie jeder der schreibenden Zunft verkriecht auch er sich irgendwann ins stille Kämmerchen. Dort wird ausgiebig an den Sätzen geschliffen. „Ich habe einen besonders hohen Anspruch und sitze für eine Rede schon mal vier bis fünf Stunden am PC.“ Auf Phrasen wie ‚Heute sind wir hier zusammengekommen‘ reagiere er mittlerweile allergisch. Außerdem weiß er, dass Worte wie Pfeile sein können. „Die Kollegen aus der Bestattung bedaure ich ja am meisten. Die müssen mein Gerede den lieben langen Tag ertragen“, scherzt er.

Trotzdem gibt er sein Bestes, dass jede Rede etwas Einzigartiges wird – einzigartig, wie die Geschichte des Verstorbenen. „Für mich ist es wichtig, dass sie so gehen können, wie sie gelebt haben.“ Egal ob christlich, kurdisch, mexikanisch, mit Metaphern, Märchen oder Musikliedern bestückt „vom Gebet bis zum indianischen Segensspruch ist alles dabei.“ Zusätzliches Rüstzeug bietet ein breiter Fundus an Zitaten: „Hesse geht beispielsweise immer.“ Doch nicht die eigene Eloquenz sondern der Mensch stehe im Vordergrund. „Wichtig sind häufig auch die kleinen Dinge und Rituale, die so vieles bewirken können.“

Und was geschieht, wenn die Anekdoten ausgesprochen sind? Dann wirken die Verstorbene manchmal so präsent, dass Angehörige für einen kurzen Augenblick ihre Trauer fast vergessen. „Sie horchen auf, lachen sogar manchmal, weil sie merken: Ja, richtig – genauso war es!“ An solchen Reaktionen erkenne er dann immer, dass er sich auf einem guten Weg befindet. „Dann hat man den Trauernden doch noch etwas mitgeben können.“

Die Arbeit kostet Mühe, gibt aber auch so vieles zurück. Auf der anderen Seite führt sie vor Augen, dass Erzählrituale in unserer schnelllebigen Gesellschaft wichtiger sind denn je. Denn solange wir die Geschichten der Verstorbenen weitertragen, leben sie in unserer Erinnerung fort.

Philipp Neuweiler

Trauerredner

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