„Früher war hierfür noch richtige Handarbeit nötig.“ Er deutet auf eine 50-Jahre-alte Stempelplatte, die zum Aufdrucken der Tierkreiszeichen diente. „Die Positionen der Planeten und Linien mussten händisch eingezeichnet werden. Heute gelingt mir das mit wenigen Mausklicks.“
Das Horoskop (zu Deutsch: „In die Stunde schauen“) beeindruckt allein schon durch seine kryptischen Linien, Skalen und Symbole, die das Chaos auf der kosmischen Dartscheibe perfekt machen. Mit dem Geodreieck verdeutlicht Witschel die Unterschiede zwischen dem Radix (der Himmelkonstellation zur Geburt einer Person) und dem Transit (dem aktuelle Standpunkt der Planeten). Hieraus ließe sich eine „Transit-Prognose‘ erstellen, die zeige „wohin die Reise einer Person gehen könnte“. Zur Bestimmung persönlicher Charaktereigenschaften müsse man vor allem „das Sternzeichen und den Aszendenten kennen.“ Letzteres ist von Geburtsdatum, -ort und -uhrzeit abhängig, „sodass jedes Horoskop einem einmaligen Fingerabdruck entspricht. Sogar bei Zwillingen.“
Und damit beginnt erst das Ballett der Himmelstrabanten: Venus steht für Liebe, Merkur für Verstand. Sogar die Ukraine -Krise ließe sich aus der Choreo zwischen Saturn, Uranus und Pluto bestimmen. Die Faszination hierfür wurde Witschel bereits von seinen Vater in die Wiege gelegt. „Der war selbst Astrologe, hat mich allerdings nie in seine Karten schauen lassen.“ Erst später erhielt er über den Schweizer Professor Braklin Zugang zu Astrologischen Verbänden, absolvierte eine Ausbildung mit Diplom-Abschluss und bildete sich bis zum heutigen Tage fort. „Man hat natürlich nie ausgelernt.“
Zumindest können die Sternenkundler auf eine Jahrtausende alte Wissensdatenbank zurückgreifen, denn schon die alten Babylonier reckten ihre Hälser gen Firmament. Bis ins Mittelalter hinein blieb die Astrologie übrigens untrennbar verbunden mit der Astronomie, der Medizin und weiteren Disziplinen. Die heiligen drei Könige, Johannes Kepler und sogar Philipp Melanchthon waren in ihr bewandert. Obwohl die sogenannte ‚Königwissenschaft‘ ab der Aufklärung deutlich in Verruf geriet, hat sie bis heute eine enorme Bandbreite entwickelt: Börsenastrologie, Astromedizin, psychologische Astrologie und vieles mehr.
Natürlich weht auch ein starker Gegenwind, den sich Witschel vor allem durch die verrufenen Astro-TV-Sender erklärt: „Es ist auch Unfug in einem Horoskop ‚ad hoc‘ lesen zu wollen. Ebenso wenig lässt sich ein einziges Horoskop auf Millionen von Steinböcke anwenden.“
Doch von naturwissenschaftlicher Seite lauert bereits die nächste Breitseite: Astrologische Prognosen seien häufig vage formuliert. Außerdem fehlt es jeglichen Beweisgrundlagen, dass Lebewesen eine Art kosmischer Stempel aufgedrückt werde. Längst hat sich die Sternenkarte weiterentwickelt: Die Erde ist nicht mehr Zentrum des Universums, durch die Kreiselbewegung ihrer Achse ist es in den letzten Jahrtausenden zu Verschiebungen der Tierkreiszeichen gekommen und neue (Zwerg-)Planeten wie Pluto wurden erst mit ihrer Entdeckung 1930 ‚sporadisch‘ ins Horoskop eingeflickt. Witschel aber kontert: „Natürlich bleiben Astrologen offen für Veränderungen. Gut möglich, dass in wenigen Jahren weitere Planeten ins Horoskop aufgenommen werden – deren Einflüsse müssen dann erst erschlossen werden.“
Egal also ob korrekte Prognosen als Zufälle, selbsterfüllende Prophezeiungen oder Wahrheiten interpretiert werden – letztlich bleibt es jedem selbst überlassen. „Natürlich werden Menschen nicht nur vom Kosmos beeinflusst. Astrologen sprechen keinem ihr soziales Umfeld oder ihre Entscheidungsfreiheit ab. Es gibt sogar Menschen, die leben völlig gegen ihr Horoskop aus Angst vor Veränderungen.“ Seine Aufgabe sieht Witschel daher mehr als Hilfesteller – ein Ratgeber, der auf Alternativen in Lebenskrisen verweist. „Ich bin kein Wahrsager, lediglich ein Wegweiser.“ Ob uns das kosmische Orchester neben Ebbe, Flut und Jahreszeiten also noch anderweitig um die Ohren pfeift, bleibt nachzuprüfen. Bis dato gönnen wir den Sternen ihre letzten Geheimnisse.
Philipp Neuweiler
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