Uns lief ein Schauer über den Rücken. Was jetzt? Kein Zelt, keine Unterkunft, kein Geld für ein überteuertes Hotel. Der Ladenbesitzer musste die aufsteigende Panik in unseren Gesichtern bemerkt haben. „Auf der anderen Seite – ihr habt Glück. Gerade ist Nebensaison.“ Er gebot uns ihm zu folgen, brachte uns direkt zur Rezeption des Hotels. Dort positionierte er sich erneut hinter den Empfangstisch und schob uns einen Schlüssel zu. Wie sich zu späterer Zeit herausstellen sollte, gehörte ihm auch der kleine Pub unten im Keller. Ihm gehörte einfach alles – quasi die ganze Stadt.
Er gab uns das Zimmer zum Spottpreis. Drinnen wartete ein fast großmütterliches Ambiente auf uns: Stickereien verzierten die Bettwäsche, barocke Kleiderschränke und auf dem Nachttisch eine Teekanne. Vor ein paar Minuten hätten wir noch mit jedem Stall vorlieb genommen. Umso mehr verschlug uns der ungeahnte Luxus den Atem. Uns wurden unsere schmerzenden Fußgelenke bewusst. Und als wir unsere müden Gesichter in die Kopfkissen vergruben merkten wir, wie herrlich weich so ein Bett doch sein konnte. Später gönnten wir uns Tee – einer der besten, die ich seit langem getrunken hatte.
Vielleicht wäre es an der Zeit zu klären, was uns in diese hintersten Ausläufer des auslaufenden Schottlands getrieben hatte. Nach meinem Irischen Alleingang war ich nach Glasgow geflogen, um meinen Kumpel zu besuchen. Ein Katzensprung von Dublin. Die Fliegernase hebt sich kurz beim Start, bricht durch die morgenrote Wolkendecke, neigt sich wieder und schwupps ist man da. Fàilte gu Alba! Willkommen in Schottland! Wir wollten zu den Hebrideninseln – Wandern und die Abgeschiedenheit genießen. Auf der Karte war das gar nicht so weit weg von Glasgow. Doch nach stundenlanger Bus- und Fährenfahrt sollte ich merken, was ‚abgeschieden‘ eigentlich bedeutete. Am Folgetag spitzte sich das zu, als wir von Port Askaig in die Wildnis aufbrachen.
Vormittags gönnten wir uns einen kurzen Abstecher auf der Nachbarinsel Jura und beschlossen anschließend Richtung Bothy aufzubrechen. Dabei handelt es sich übrigens um Wanderhütten, die in den entlegensten Winkeln des United Kingdom verstreut sind. Die Sonne knallte über die verwaschenen Hügel und an den Berghängen ließen sich sogar wilde Hirsche blicken. Die waren mir lieber als die haarigen Galloways – riesige zottelige Rinder mit Stoßhörnern fast so lang wie meine Arme. Sie glotzten nur unbefangen in unsere Richtung und wir glotzten zurück. Ich vermutete, sie sind völlig harmlos, aber mein Glaube geriet schwer ins Wanken, als wir uns an ihnen vorbeipirschten. Sobald sie erstmal auf den Geschmack kämen, würde selbst das röteste Tuch nichts ausrichten. Nach ein paar Stunden Fußmarsch schlitterten wir in eine fast ähnliche Situation: Diesmal kein halbes Mammut sondern viele kleine schwarze Rinder und wir mittendrin. Ich kam mir fast vor wie in „Der mit dem Wolf tanzt“. Da es keine alternative Route gab, liefen wir zügig hindurch – wir taten ihnen und sie uns nichts. Die diplomatische Strategie. Dafür verflüchtigte sich unser Weg. Aus Asphalt wurde Schotter, aus Schotter trockene Erde, niedergetretenes Gras, dann war er plötzlich verschwunden. Als wir am Strand mit lauter Geröll und Kieselsteinen ankamen, überprüften wir die Karte: Kein Haus weit und breit, nur eine Schutzhütte ein paar Meilen vor uns – ein paar Buchten.
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