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Reisebericht: Yoga in Irland

Letzte Änderung 14. Februar 2014

Steinkreis

Menschen sind zum Sammeln veranlagt: Briefmarken, Münzgeld, Praktika für den Lebenslauf. Irgendwann hatte ich beschlossen, es mit skurrilen Momenten zu versuchen. Solche, die das Leben geschrieben hatte. Der Gedanke gefiel mir, sie wie Fotografien einzufangen und in mein eigenes Gedächtnisalbum einzukleben. Von einem dieser Einträge möchte ich hier nun berichten, denn es war auch eine spirituelle Erfahrung – skurril und spirituell zugleich … Ein Bekannter hatte mir davon erzählt: Trampen und Couchsurfen – die angeblich günstigste und aufregendste Art zu Reisen.

Dabei lerne man eine fremde Kultur nicht vom Hotelzimmer, sondern aus der Perspektive der Einheimischen kennen. Leichtsinnig? Vielleicht ein bisschen und zugegeben war mir auch etwas mulmig, als ich mit der 10kg Fliegertasche unterm Arm aus dem Flieger stieg. Kerry Airport war der kleinste Flughafen, den ich je gesehen hatte. Das Terminal war ernsthaft nicht viel größer als ein Einfamilienhaus, umgeben von immergrünen Hügelketten. Da gerade kein Bus fuhr, stapfte ich im einsetzenden Nieselregen die Landstraße entlang, positionierte mich nach einer Meile an der einzigen Weggabelung und hielt zum ersten Mal in meinem Leben den Daumen heraus. Ich hatte mich schon auf eine längere Wartezeit eingestellt – umso mehr klappte mir der Mund auf, als bereits zehn Minuten später quietschende Reifen zum Stehen kamen.

Dimi war Tscheche, geschätzte fünf Jahre älter als ich und wohnte aus welchen Gründen auch immer bei einem Irischen Fischer an der Westküste. Derzeit war er arbeitslos, was ihn allerdings nicht zu entmutigen schien, verirrte Reisende bei sich aufzunehmen - völlig kostenlos versteht sich, denn das war schließlich das Prinzip von Couchsurfing. Als Willkommensgeschenk überreichte er mir feierlich einen Kieselstein, den er mir mit äußerster Behutsamkeit in die Hand legte. Ich tat beeindruckt, wusste jedoch nicht, was ich mit dem Geröllklumpen anfangen sollte. Er schmiegte sich weder gut in die Hand, noch besaß er irgendeine hübsche Farbe. Dimi begann mir von Energieströmen zu erzählen, den unterschiedlichen Beschaffenheit des Gesteins als Speichermedium, heilende Kräfte ... Demonstrativ hob er seine Bettmatratze. Es war mir ein Rätsel, wie jemand mit so vielen Steinen unterm Kopfkissen ein Auge zu tun konnte. „Übrigens haben wir zurzeit kein Öl im Heizkeller. Könnte also etwas kühl werden heute Nacht.“
 

Kühl war reichlich untertrieben. Ich war glücklich über den Schlafsack, den ich mir trotz aller Leichtsinnigkeit eingepackt hatte und wunderte mich beinahe, als am nächsten Morgen die Dielen nicht mit Frost überzogen waren. Nicht mal der Strom im Bad funktionierte. Obwohl die Fenster geschlossen waren, spürte man immer einen leichten Luftzug (der Regen hatte noch immer nicht aufgehört). Rings um das Waschbecken häuften sich in bester Studentenmanier die Bartstoppel mehrerer Generationen…
 

Irland von Oben

Wenn man das Schicksal herausfordert, sollte man nicht dem Luxus hinterhertrauern. Das gehört nun mal zu dieser Reiseform dazu – man konnte an einem Tag leben wie ein König und am andere… nun ja. Am Frühstückstisch erzählte mir Dimi von Steinkreisen, die sich in dem angrenzenden Nationalpark befanden: „Wenn du möchtest, können wir heute mit den Rädern hinfahren?“

Es war also mein zweiter Tag auf der Grünen Insel und ich saß bereits auf einem altersschwachen Drahtesel und radelte mit einem Tschechen an meiner Seite in den Nationalpark. Hatte ich vergessen, den Regen zu erwähnen? Man kann es nicht oft genug wiederholen… Am Ufer eines kleinen Sees stieg Dimi plötzlich ab, reckte die Arme gen Himmel und vollführte eine Art mystisches Ritual mit seinen Händen. „Gegen den Regen“, erklärte er mir beiläufig, glitt dann aber wieder in seinen Meditationsrhythmus. Ich stand sprachlos daneben, zog meinen Regenmantel enger und sah zu, wie der Regen unsere Sättel durchtränkte. Nichts gegen fremde Kulturen, aber es erschien mir in jenem Augenblick doch recht leichtsinnig zu glauben über lautes monotones Summen und Armgefuchtel den Aggregatszustand der Wassermassen mehrere Kilometer über unseren Köpfen beeinflussen zu können. Er vollführte das Ganze übrigens noch an zwei weiteren Stellen und schließlich oben auf dem Hügel zwischen den Monolithen. Zugegeben, der Steinkreis war recht klein und bestand nur aus fünf Hinkelsteinen, trotzdem ergriff mich doch so etwas wie Ehrfurcht. Ich berührte die moosüberzogene Oberfläche und stellte mir vor, wie die Felsen wohl vor tausenden von Jahren von den Druiden hier heraufgeschafft wurden.

Rings um uns herum wurde die Landschaft von grauem Nebelmeer verschluckt. Dimi versorgte ein paar seiner Steine – platzierte sie neben ihre mächtigen uralten Artgenossen, damit sie die Energie der Erdströme aufnehmen konnten. Dann murmelte er etwas vom kleinen Volk – wie so häufig wusste ich nicht, ob er sich damit einen Scherz erlaubte oder tatsächlich an die Feengeschichten glaubte. Der Mann blieb mir ein Rätsel als er sich wieder breitbeinig hinstellte (diesmal im Zentrum des Steinkreises) und erneut mit offenen Armen dem Regen ins Gesicht lachte. Es reizte mich sehr, das ganze fotografisch festzuhalten. Das würde mir ansonsten sowieso keiner glauben. Er blickte flüchtig zu mir rüber und ertappt tat ich so, als würde ich seine Armbewegungen imitieren. „Das ist ziemlich beeindruckend“, heuchelte ich und dann: „Kann man das lernen?“ Strahlend winkte er mich zu sich und gebot mir alles, was er tat, nachzumachen. Verflucht, was war mir da nur herausgerutscht? Er sprach von Chakren und Energiefelder, erläuterte mir Punkte und Bewegungen. Wir beugten uns also gemeinsam vor und schöpften unsichtbare Energie, die wir an unserer Brust entlangführten, um sie anschließend dem Regen entgegenzuschleudern.

Steinkreis

So begann also unsere Tanzbewegung im strömenden irischen Regen. Immer wieder beugten wir uns vor – schöpften Energie. Mir fiel ein Wasserfall auf, der in der Ferne glitzerte. Wilde Schafe, die sich an unseren Rädern zu schaffen machten. Wieder vorbeugen und schöpfen. Hier draußen gab es nichts von Menschenhand erschaffenes – nicht mal in Deutschland kann man über die Felder stapfen ohne einer Hochspannungsleidung über den Weg zu laufen. Vorbeugen. Die Wolken hatten sich aufgelöst und das Panorama war einfach unbeschreiblich – wild, weit und frei! Zu Fuß des Wasserfalls erstreckte sich ein himmelblauer See. Und strahlend beugte ich mich wieder vor, sog den Moment in mich auf – meinen verrückten Gefährten an meiner Seite. Vielleicht war er auch gar nicht so verrückt. Vielleicht war ich einfach nur zu engstirnig gewesen, zu fixiert. Offenheit und Zuversicht scheinen wirklich die beiden Dinge zu sein, die man auf einer solchen Reise unbedingt im Handgepäck mitführen muss. Immerhin ist es auch gar nicht so unwahrscheinlich, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die sich jeglicher Erklärung entziehen. Und gleichzeitig reckten wir wieder die Hände gen Himmel. Es war mein zweiter Tag in Irland – hatte unser Regentanz tatsächlich etwas bewirkt?! Ich hatte vergessen, dass es zu regnen aufgehört hatte.

Yoga im Regen

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