Und heute erinnern wir zum dritten Mal an Albert Schweitzer“, meint Dr. Günter Frank von der Europäischen Melanchthon-Akademie. Damit leitet er über zum „Wortkino“ aus Stuttgart: Norbert Eilts von „Dein Theater“ wagt sich in einer szenischen Lesung an die pralle Biografie. Missionarsarzt, Philosoph, Theologe, Vikar, Organist, Entwicklungshelfer, Friedensnobelpreisträger – zu Recht staunen die Zuhörer: „Meine Güte hatte der Schweitzer einen Lebenslauf!“
Grün und verwaschen wirkt der Bühnenhintergrund und deutet bereits die Tropen an. Doch statt Affengebrüll klimpern Bach und Beethoven aus dem Blätterwald. „Bis auf zwei Stellen besteht die Lesung aus autobiographischen Auszügen“, erklärt Eilts, der auch den Text zu „Ein Klavier im Urwald“ zusammengestellt hatte. Konzipiert wurde das Ein-Mann-Theaterstück von Friedrich Beyer. „Ich hätte auch mit einer Arzttasche über Zweige klettern können. Doch szenische Details hätten von den Originaltexten abgelenkt.“ Somit beschränkt sich Eilts auf Podest, Rednerpult, Frack und Tropenhelm. Nicht das Schauspiel, sondern das Denken eines ehrfürchtigen Mannes steht im Vordergrund.
Das Sprachkino zehrt von den lebendig vorgetragenen Anekdoten: 1875 wurde Schweitzer in den „Völkerschmelztopf“ Elsass hineingeboren. Bereits mit neun Jahren spielte er Orgel im Gottesdienst und erlebte den Einzug in die Moderne. „Seine Gesundheit erlaubte ihm viel Nachtarbeit“, erzählt Eilts über den fleißigen Studenten. Schweitzer studierte Theologie und Orgelmusik, wurde Doktor der Philosophie und legte noch ein 7-jähriges Medizinstudium obendrauf. „Für die Entwicklungsarbeit galten Ärzte nämlich als das Notwendigste vom Notwendigen.“
1913 reiste er mit Frau, Medikamenten und Klavier im Gepäck ins zentralafrikanische Gabun und gründete ein Urwaldhospital in Lambarene. Dort hatte er nicht nur mit Krankheiten zu kämpfen, sondern mit unmenschlicher Hitze, Diebstählen, abergläubischen Patienten, Killerameisen oder Menschen, die sich für Leoparden hielten. „Der Mann besaß eine unbändige Energie“, sagt Eilts anerkennend.
Den Grund für dieses Engagement formulierte wohl keiner besser als Schweizer selbst. Während einer dreitägigen Reise durch den Regenwald kam ihm eines Tages die Erleuchtung: Seit jeher beschäftigte ihn die Verehrung und Furcht vor dem Unbegreiflichen. Kern seiner Ethik bildete somit die Aussage „Ehrfurcht vor dem Leben“. Sogar kranke Tiere ließ der Vegetarier in seiner Klinik behandeln. In Lambarene verstarb er schließlich im Alter von 90 Jahren – das Ende der Lesung.
Dabei bemerkt Eilts, dass es noch ungemein mehr zu erzählen gäbe: Etwa die Freundschaft mit Albert Einstein, die Verleihung des Friedensnobelpreises 1953 oder sein Appell gegen Kernwaffenversuche. Wegen seines patriarchalen Führungsstils wurde Schweitzer später als „Tyrann der Nächstenliebe“ kritisiert.
Dennoch bleibt sein Lebenswerk unangefochten: Schweitzer bemängelte zeitlebens die Gedankenlosigkeit und das Leiden in der Welt, „eine Diagnose, die heute so aktuell ist wie damals.“ Dieser Resignation setzte er Tatendrang entgegen. Sein Hospital bildete ein Zeichen für Frieden und Menschlichkeit. „Das Krankenhaus gibt es auch heute noch“, bemerkt Eilts, der sich während seiner Recherche Vorträge von Ärzten aus Lambarene angehört hatte. Es bleibt also lohnenswert sich mit Schweitzer zu beschäftigen. Nicht nur aus Ehrfurcht vor dem Leben generell, sondern aus Ehrfurcht vor seiner Biografie.
Philipp Neuweiler
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