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Ein Organist im Afrikanischen Dschungel

Letzte Änderung 17. April 2015

Ein Klavier im Urwald

„Wortkino” über Albert Schweitzer im Melanchthonhaus.

Bretten.
Einigen dürfte das Wandgemälde im Melanchthonhaus bekannt sein: Es zeigt den sterbenden Brettener Reformator – aschfahl und ausgezehrt. Der Legende nach soll Albert Schweitzer dazu gesagt haben: „Klarer Fall bei dieser Blässe: Melanchthon hatte Typhus.“
Sicher ist nur, dass der berühmte Tropenarzt den Gedächtnissaal im November 1951 besichtigt hatte. „Später gab es hier auch eine Ausstellung.

Und heute erinnern wir zum dritten Mal an Albert Schweitzer“, meint Dr. Günter Frank von der Europäischen Melanchthon-Akademie. Damit leitet er über zum „Wortkino“ aus Stuttgart: Norbert Eilts von „Dein Theater“ wagt sich in einer szenischen Lesung an die pralle Biografie. Missionarsarzt, Philosoph, Theologe, Vikar, Organist, Entwicklungshelfer, Friedensnobelpreisträger – zu Recht staunen die Zuhörer: „Meine Güte hatte der Schweitzer einen Lebenslauf!“

Grün und verwaschen wirkt der Bühnenhintergrund und deutet bereits die Tropen an. Doch statt Affengebrüll klimpern Bach und Beethoven aus dem Blätterwald. „Bis auf zwei Stellen besteht die Lesung aus autobiographischen Auszügen“, erklärt Eilts, der auch den Text zu „Ein Klavier im Urwald“ zusammengestellt hatte. Konzipiert wurde das Ein-Mann-Theaterstück von Friedrich Beyer. „Ich hätte auch mit einer Arzttasche über Zweige klettern können. Doch szenische Details hätten von den Originaltexten abgelenkt.“ Somit beschränkt sich Eilts auf Podest, Rednerpult, Frack und Tropenhelm. Nicht das Schauspiel, sondern das Denken eines ehrfürchtigen Mannes steht im Vordergrund.

Das Sprachkino zehrt von den lebendig vorgetragenen Anekdoten: 1875 wurde Schweitzer in den „Völkerschmelztopf“ Elsass hineingeboren. Bereits mit neun Jahren spielte er Orgel im Gottesdienst und erlebte den Einzug in die Moderne. „Seine Gesundheit erlaubte ihm viel Nachtarbeit“, erzählt Eilts über den fleißigen Studenten. Schweitzer studierte Theologie und Orgelmusik, wurde Doktor der Philosophie und legte noch ein 7-jähriges Medizinstudium obendrauf. „Für die Entwicklungsarbeit galten Ärzte nämlich als das Notwendigste vom Notwendigen.“

1913 reiste er mit Frau, Medikamenten und Klavier im Gepäck ins zentralafrikanische Gabun und gründete ein Urwaldhospital in Lambarene. Dort hatte er nicht nur mit Krankheiten zu kämpfen, sondern mit unmenschlicher Hitze, Diebstählen, abergläubischen Patienten, Killerameisen oder Menschen, die sich für Leoparden hielten. „Der Mann besaß eine unbändige Energie“, sagt Eilts anerkennend.

Den Grund für dieses Engagement formulierte wohl keiner besser als Schweizer selbst. Während einer dreitägigen Reise durch den Regenwald kam ihm eines Tages die Erleuchtung: Seit jeher beschäftigte ihn die Verehrung und Furcht vor dem Unbegreiflichen. Kern seiner Ethik bildete somit die Aussage „Ehrfurcht vor dem Leben“. Sogar kranke Tiere ließ der Vegetarier in seiner Klinik behandeln. In Lambarene verstarb er schließlich im Alter von 90 Jahren – das Ende der Lesung.

Dabei bemerkt Eilts, dass es noch ungemein mehr zu erzählen gäbe: Etwa die Freundschaft mit Albert Einstein, die Verleihung des Friedensnobelpreises 1953 oder sein Appell gegen Kernwaffenversuche. Wegen seines patriarchalen Führungsstils wurde Schweitzer später als „Tyrann der Nächstenliebe“ kritisiert.

Dennoch bleibt sein Lebenswerk unangefochten: Schweitzer bemängelte zeitlebens die Gedankenlosigkeit und das Leiden in der Welt, „eine Diagnose, die heute so aktuell ist wie damals.“ Dieser Resignation setzte er Tatendrang entgegen. Sein Hospital bildete ein Zeichen für Frieden und Menschlichkeit. „Das Krankenhaus gibt es auch heute noch“, bemerkt Eilts, der sich während seiner Recherche Vorträge von Ärzten aus Lambarene angehört hatte. Es bleibt also lohnenswert sich mit Schweitzer zu beschäftigen. Nicht nur aus Ehrfurcht vor dem Leben generell, sondern aus Ehrfurcht vor seiner Biografie.

Philipp Neuweiler

Ein Klavier im Urwald

“Sein Treibstoff war Tabak und Alkohol”

Letzte Änderung 29. November 2014

Buschwerke

Norbert Eilts von “Dein Theater” spielt das “Buschwerk” im Melanchthonhaus Bretten.

Bretten.
Warum in Zeiten von Essen auf Rädern nicht auch mal Theater auf Bestellung? Im Melanchthonhaus ist man mit dem Angebot des Stuttgarter Ensembles „Dein Theater“ jedenfalls auf den Geschmack gekommen. Doch der Vergleich hinkt, denn statt Fastfood-Pizzen werden leidenschaftliche Erzählungen aufgetischt. Auf dem Menü vom vergangenen Freitag: Feinste Anekdoten und Gedichte von Wilhelm Busch.

„Schon seine Karikaturen zeigen, dass es ihm auf das Wesenhafte des Menschen ankam“,

so Schauspieler Norbert Eilts zu Beginn seiner zweistündigen One-Man-Show. Den Krempenhut übergestülpt und die Bierflasche griffbereit, ließ er das Leben des Dichters Revue passieren – in Reimen und Prosa. „Sein Treibstoff war Tabak und Alkohol.“ Doch was fabrizierte der eigensinnige Schreibtischtäter noch, dem wir übrigens Wortneuschöpfungen wie „Kladderadatsch“ zu verdanken haben?

Pünktlich zum Todesjahr Goethes (1832) kam Klein-Wilhelm im niedersächsischen Wiedensahl zur Welt. Vom Vater zum Maschinenbaustudium gezwungen, flüchtete er bald von einer Kunsthochschule zur nächsten. Der eigene Selbstzweifel trieb ihn in die Kneipen, „wo er mit Zigaretten und Bier die Wände seiner irdischen Zelle sprengte.“ Als er von den „Fliegende Blätter“ entdeckt wurde, trafen seine satirischen Überspitzungen die Herzen der Leser. Aus Bilderpossen wurden Erfolgsgeschichten. Später folgte sein größter Streich: Die Geschichten von Max und Moritz, die in Österreich lange Zeit auf der Liste jugendgefährdender Schriften standen. Mittlerweile ist das Werk in fast dreihundert Sprachen übersetzt, „darunter so kuriose Dialekte wie Schwäbisch und Suaheli.“

Mit dem Klassiker ging auch ein Raunen durch die Zuschauer: „Wehe wehe, wenn ich auf das Ende sehe“ und selbstverständlich bezogen sie sich dabei nicht auf die Inszenierung. Vielmehr bannte das überaus kurzweilige Spiel: Mit jedem Busch-Gedicht kleidete sich Eilts in neue groteske Figuren: Über den Philosoph, zum Trinker, Eigenbrödler und Lehrer mit dem Schwarzpulver in der Pfeife. Das Leben blieb ihr größter Gegner: Eilts ließ sie humpelten, stürzte Maaskrüge oder schwang die Spazierstöcke in Chaplin-Manier. Und wie zur Antwort erschallte aus dem Hintergrund Tiergejaule.

„Trotz seiner pointierten Aussagen war das Leben für ihn nämlich keine Pointe“, erklärte Eilts. Busch galt als tiefmelancholischer Mensch, dessen Wortwitz existenziellen Auseinandersetzungen entsprang. Menschliche Bösartigkeit karikierte er mit spitzer Feder – Alltagsleben wurde nicht beschönigt sondern ver-dichtet wiedergegeben.

„Hierzulande erwartet man von großen Dichtungen ja immer diese Schwere. Vermutlich ist Busch deshalb in der Kinderecke gelandet. Dabei macht ihn gerade dieser unromantische Blick aus – auf die Unpässlichkeiten des Lebens.“ Eilts hatte ja seine Bedenken, als er 2008 das Stück zusammen mit einem Dramaturgen recherchierte. „Doch wir waren überrascht, wie viel zeitlose Komik sich zu Tage förderte.“ Selbst über hundert Jahre nach dem Tod des Dichters waren aus Lachgrübchen keine Altersfalten geworden.

Die biografische Theaterreihe wird am 16. April übrigens fortgesetzt. Beim nächsten Mal dann „Albert Schweizer“ anlässlich seines fünfzigsten Todestages. Und wer hätte das gedacht: Der berühmte Arzt hat sogar schon selbst das Melanchthonhaus besucht.

Philipp Neuweiler

Buschwerke

Die Vita des Kartoffelkönigs

Letzte Änderung 17. November 2013

Friedrich der Große

„Dein Theater“ präsentierte „Vater und Sohn – Friedrich dem Großen zum 300. Geburtstag“ im Melanchthonhaus Bretten

Bretten.
„Von seinem Vater wurde der ganz schön in die Mangel genommen. Aus dem sollte mal was werden“, flüsterten einige Zuschauer im Gedächtnissaal des Melanchthonhauses. Bereits vor der Vorstellung beschäftigte sie das Rätsel um die geheimnisvolle Büste Friedrichs II. Wer war er und wieso wurde er von seinen Zeitgenossen „der Große“ oder „Alte Fritz“ genannt?

Norbert Eilts vom Stuttgarter Ensemble „Dein Theater“ präsentierte die Lebensgeschichte des 'eigensinnigen Querpfeifers', der im vergangenen Jahr seinen 300. Geburtstag gefeiert hätte.

„Wir neigen ja dazu, Menschen aufs hohe Podest zu heben und nicht weiter zu hinterfragen“, so Eilts. In seiner zweistündigen One-Man-Show führte er immer wieder vor Augen, dass es sich bei dem preußischen Monarchen auch nur um einen Menschen gehandelt hatte: Der junge Friedrich liebte es Flöte zu spielen und geriet dadurch in Konflikt mit dem militärischen Vater Friedrich Wilhelm. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch griffen die erzieherischen Maßnahmen sogar soweit, dass er der Hinrichtung seines Fluchthelfers beiwohnen musste. Weniger bekannt dürfte auch sein, dass der Liebhaber französischer Literatur Deutsch eigentlich nur mit seinen Hunden und Kammerdienern sprach. Auch für Frauen soll er nicht viel übrig gehabt haben, sodass er seine drei Konkurrentinnen aus Frankreich, Österreich und Russland als „Erzhuren Europas“ beschimpfte. Unsterblich und von seinen Untertanen gefeiert wurde er jedoch durch seine Reformen, durch die sich Preußen in einen modernen Staat entwickelte. Friedrich begriff sich als „Diener des Staates“, setzte sich u.a. für Religionsfreiheit und Gleichberechtigung ein, war ein begnadeter Feldherr und verhinderte Hungersnöte, indem die Landbevölkerung über den Kartoffelanbau aufklärte.

Im Laufe des zweistündigen Monologes schien sich Eilts selbst immer mehr in den Alten Fritz zu verwandeln, was sicherlich nicht nur der preußischen Uniform lag. Besonders seine humoristischen Vergleiche zur heutigen Regierung betonten immer wieder die umsichtige Vorgehensweise des Herrschers: Eine Staatsverschuldung ohne vehemente Maßnahmen hätte es beim Alten Fritz nicht gegeben. Selten hatte die regierende reiche Oberschicht für so wenig Geld gearbeitet wie zu seinen Zeiten.

Am Ende blieb natürlich die Frage offen, ob es sich bei der Veranstaltung um einen Vortrag oder ein Theaterstück gehandelt hatte.  „Generell inszenieren wir keine Stücke sondern theatralisieren Themen“, erklärte Andreas Frey, der seit der Gründung von „Dein Theater“ als Regisseur und Schauspiellehrer tätig ist. Alles werde somit selbst recherchiert und geschrieben. Das ungewöhnliche Konzept „Theater auf Bestellung“ habe sich in den letzten 29 Jahren durchaus bewährt und sei deutschlandweit einzigartig.

Dass Eilts somit weitaus mehr über die Vita des Kartoffelkönigs zu erzählen wusste, wurde spätestens nach der Vorstellung in einer kleinen Gesprächsrunde deutlich. Neben Textarbeit sei er im Zuge seiner Recherchen auch auf Historiker wie Johannes Kunisch zugegangen und habe Originalschauplätze wie das Schloss Sanssourci besucht. „Natürlich wird man nie mit Sicherheit sagen können, wie eine historische Persönlichkeit letztendlich gewesen ist“, meinte Eilts. Doch das verlange auch keiner. Zumindest erschien es den Zuschauern, dass man dem 'Großen Friedrich' selten so nahe kam wie an jenem Abend.

Philipp Neuweiler

Friedrich der Große

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